Arts & Studies: Huda Takriti
Photography, Publications | Feb 2021
In: EIKON. Internationale Zeitschrift für Photographie und Medienkunst 113 (2021), S. 54
„How do you measure the distance between a vague dream and an image?“ Ein Familiengeheimnis – die wahre Herkunft von Huda Takritis Urgroßmutter Fatima, Kind jüdischer Eltern aus Polen oder, einer anderen Überlieferung zufolge, Russland, die ihr ursprünglich den Namen “Victoria” gegeben hatten – bildet den Ausgangspunkt einer sich immer weiter verzweigenden künstlerischen Spurensuche, die zum Reflexionsprozess darüber wird, wie Erzählungen entstehen und woraus Geschichte gemacht ist.
Takritis multimediale Installation of cities and private living rooms handelt von der Verwobenheit persönlicher Wahrnehmungen und kollektiver Narrative, gesellschaftspolitischer Realitäten und familiärer Erinnerungen. Als Abschlussarbeit ihres Masterstudiums an der Abteilung TransArts der Universität für angewandte Kunst Wien wurde sie, ebenso wie Abiona Esther Ojos skulpturale Installation Die Magie steckt in jeder Strähne, mit dem nun zum sechsten Mal vergebenen Preis der Kunsthalle Wien ausgezeichnet. In der von Lucas Gehrmann in der Kunsthalle am Karlsplatz kuratierten Begleitausstellung „Weaving Truths, Untangling Fictions“ waren die Arbeiten beider Künstlerinnen zu sehen.
Neben einer Dia-Projektion von Schwarz-Weiß-Fotografien aus dem Familienbesitz zeigt ein 20-minütiges Zwei-Kanal-Video Takritis Archivmaterial aus dem Libanon, aus Palästina und Syrien; historische Aufnahmen von Landschaften, Gebäuden und Straßenszenen, die sich mit Bildern von einer Reise der Künstlerin nach Polen zu imaginativen Geografien verweben. Die Erzählerinnenstimme hält Alltagseindrücke fest – ein Fahrrad auf einem Balkon, Menschen auf einem Sofa, einen Spielplatz – und befragt sich beständig selbst: kaleidoskopische Erzählung, die zugleich Traumsequenz ist. Woher kommen die Bilder? Von ihnen heißt es hier, dass sie einander ansehen und nachahmen, sich überlagern, einander auslöschen, nie allein existieren.
Die Kraft von Takritis polyphonem Essay liegt nicht zuletzt darin, einem linearen Verständnis von Geschichte/n und Identitäten zu trotzen und zu zeigen, dass wir tradierten Erinnerungen, Erfahrungen und vermeintlichen Wahrheiten zwar ausgeliefert sein mögen, sie aber ins Wanken bringen können, indem wir sie uns neu aneignen und wiedererfinden.
Katharina Manojlovic