Katharina Manojlovic

Fetisch und Augentrug. Zum Werk Laura Schawelkas

Photography, Publications | Sep 2020

In: EIKON. Internationale Zeitschrift für Photographie und Medienkunst 110/111 (2020), S. 40–45

„Vikariierend“, so die Übersetzung des Titels von Laura Schawelkas Ausstellung „Vicarious“ im EIKON Schauraum, bedeutet so viel wie „einander vertretend“: ersatzweise oder kompensatorisch, dabei jedoch von anderswo agierend. In der Biologie sind damit, dem Duden zufolge, „nicht gemeinsam vorkommende, aber am jeweiligen Standort einander vertretende Tiere oder Pflanzen“ gemeint. In der Medizin übernimmt ein „vikariierendes Organ“ die Funktion eines anderen ausgefallenen. Die hier mitschwingende Assoziation des Doubles ist von zentraler Bedeutung für Schawelkas künstlerisch-forschend entwickelte Phänomenologie des fotografischen Mediums in kommerziellen Kontexten. 1988 in München geboren, untersucht die in Berlin lebende Künstlerin in ihren Werkserien die Rolle der Fotografie bei der Erzeugung von Mehrwerten mit deren eigenen Mitteln und auf Basis eines dichten Netzes kulturhistorischer, ökonomischer und architektonischer Referenzen.

Ihre Fotografien fungieren als Fetische, die selbst auf Fetische verweisen und dabei wirken, als wüssten sie schon lange vor uns von unseren Begehrlichkeiten. Eine eigentümliche Spannung entsteht in ihnen durch den Kontrast zwischen ihren glatten, an Hochglanzmagazine erinnernden Oberflächen und den Sujets, die Lust auf Berührung machen. Egal, ob es das uns entgegenleuchtende, ins Extreme vergrößerte Fleisch eines Granatapfels ist oder eine gleißende Zwei-Euro-Münze, die einen Frauenmund überlagert: zum Greifen naher Augentrug. Schawelkas Bilder spielen mit der Unberührbarkeit dieser Objekte, und gerade diese trägt zur Überhöhung des Dargestellten bei. Auch die Inszenierung von Händen verweist auf das haptische Erleben von Dingen. In an Verkaufsdisplays erinnernden Installationen erscheinen Hände als surreale Versatzstücke, in manchen Bildern als Warenträger, zum Beispiel für Schmuck. Wir sehen Hände arbeiten, Kontakt suchen, Geld einstreifen. Indem sie ins Bild geholt werden, intensiviert sich unser Bedürfnis, selbst hinzugreifen.

In dem Diptychon Untitled (Exposition de blanc à la place Clichy, Henri Thiriet, 1898, customer / seller, 2018), das eine Illustration Thiriets ins Bild setzt, sehen wir Hände beim Prüfen von Weißwaren, deren Präsentation als früher Abverkaufsevent der großen Kaufhäuser gelten kann. Als ein in tausend Falten gelegtes Meer erscheint darauf ein weißes Laken zwischen sinnlich entrückter Kundin und Verkäuferin. Émile Zolas 1883 veröffentlichter Roman Das Paradies der Damen (Au Bonheur des Dames), auf den Schawelka indirekt anspielt, erzählt genau davon: von den frühen Triumphzügen der großen Pariser Warenhäuser und jenen sie besuchenden Frauen, „deren Finger zitterten vor Begierde, ihr Gesicht […] von einem sinnlichen Verlangen [erglüht]“.[1] – Einkaufen als orgiastische Entgrenzung: kein ganz neues Phänomen. Angesichts der Phantasmagorien heutiger, zunehmend vom Online-Handel und digitalen Renderings bestimmter Warenwelten analysiert Schawelka die Rolle der Fotografie als deren Komplizin. Ihre Erzeugnisse sind hyperreale Simulacren, die ein Begehren nach Dingen in uns erzeugen.

Die Videoarbeiten der Künstlerin zeigen die Fotografie ebenfalls in ihrer erstaunlichen Fähigkeit, Display und Double für beinahe alles zu sein. Durch den Einsatz der digitalen Freistellungstechnik des Chroma Keying laufen verflüssigte Bilder und Videos über Objektinszenierungen: eine raffinierte künstlerische Strategie, die überraschende ästhetische Effekte erzeugt. Dabei verführt uns die Dynamik einer animistisch anmutenden Welterschaffung durch Bilder. Im Video Untitled (Car Pour Version 1–3) von 2017 ergießt sich cremige „Muscle Milk“ über graue Autoledersitze, deren Steppung an hyperdefinierte Bauchmuskeln erinnert. Das spiegelnde Weiß der Milch ist selbst bald von bewegten Bildern erfüllt, die die Bildeinstellung von neuem überlagern. – Zweifellos will uns diese Milch fortreißen wie der „wallende Wasserfall“ der Zola’schen Stofffluten![2]

Für ihre Ausstellung „Vicarious“ im EIKON Schauraum hat sich Schawelka mit den Fassadenarchitekturen von Wiener Läden und deren Geschichte auseinandergesetzt, etwa anhand des von Hans Hollein entworfenen Geschäftsportals für das Kerzengeschäft Retti am Kohlmarkt (1965/1966). Im Zentrum steht dabei die psychologische Wirkung der sprechenden Architektur von Portalfassaden und Schaufenstern, deren Displayfunktion die Künstlerin durch ihre Inszenierung dekonstruiert und übersteigert. Laura Schawelkas Bilder lassen sich als Enträtselungen fotografischer Wirkungsmechanismen begreifen. In ihrer faszinierenden Wirkung sind sie selbst vor Stellvertretern gefeit.

Katharina Manojlovic

[1] Émile Zola, Das Paradies der Damen, München 2020, S. 144
[2] Ebd., S. 135

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